Dies ist ein Auszug aus dem von mir geschriebenen Ausstellungskatalog „Automobile Moden“, der anlässlich einer großen Designschau im Focke-Museum Bremen erschien. Kurios an dem Auftrag war, dass ich damals nicht einmal einen Führerschein besaß.

 

 

AUTOMOBILE MODEN

Kapitel 1  1886-1914

 

 

Am 28. Juni 1914 erschoss ein Attentäter in Sarajevo den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau und stieß Europa über die Schwelle zum 1. Weltkrieg. Es ist in diesem Zusammenhang natürlich nur eine Fußnote, dass der Thronfolger in einem offenen „Gräf & Stift-Wagen“ saß, aber für die Autoindustrie war von diesem Tag an nichts mehr wie vorher. Bis zu diesem heißen Sommer des Jahres war das Auto ein Statussymbol für wenige, ein abenteuerliches Vehikel, ein Nervenkitzel für Modernisten. Jetzt wurde es - quasi von heute auf morgen - zum praktischen, bald unersetzlichen Transportmittel für die Geschäfte des Krieges. Die Tage der Unschuld waren vorbei.

 

Knapp 30 Jahrzehnte zuvor, im Jahre 1886, hatte sich der Mechaniker Carl Benz ein dreirädriges Fahrzeug mit einem wassergekühlten einzylindrischen Motor und einer elektrischen Zündung zum Patent angemeldet. Die Karosserie - wenn man denn ein solches Wort überhaupt benutzen kann – war ein Stahlrohrrahmen mit Bodenbrett und Sitzkasten, der Viertaktmotor lag über der Hinterachse. Im Generalanzeiger der Stadt Mannheim hieß es über das Fahrzeug: „Die Schnelligkeit ist 16 Kilometer pro Stunde, die Herr Benz auf 24 zu steigern beabsichtigt. Das heute fertige Vehikel hat mit Maschine und allem Zubehör in voller Füllung ein Gewicht von 400 Pfund und trägt drei Personen bequem. ... Wir glauben, dass dieses Fuhrwerk eine gute Zukunft haben wird, weil dasselbe ohne viele Umstände in Gebrauch gesetzt werden kann und weil es, bei möglichster Schnelligkeit, das billigste Beförderungsmittel für Geschäftsreisende, eventuell auch für Touristen werden wird“.

 

Im selben Jahr baute Gottlieb Daimler seine „Motorkutsche“. Das Gefährt erinnerte stark an eine Droschke. Zwar berichteten Tageszeitungen wie die „Gartenlaube“ und die „Leipziger Illustrirte Zeitung“ durchaus wohlwollend über die neuen motorisierten Fahrzeuge, aber der Adel und die Großbürger, die kleine Gruppe der potentiellen Käufer, blieb skeptisch, wenn nicht sogar feindselig gestimmt, obwohl das Gefährt doch in vielem an die Wagen erinnerte, die damals Deutschlands Städte belebten und den Überlandfahrern ein ruhiges Sonntagsvergnügen boten.

Erst zwanzig Jahre später erkannten die besseren Kreise die Vorteile des neuen Vehikels. Es verband die Vorteile der Eisenbahnfahrt mit dem Prestige der Kutsche. Es setzte die Erfahrung beweglicher Individualität in Kontrast zur Eisenbahn, die als Fortbewegungsmittel von allen Schichten genutzt wurde und damit dem kultivierten Lebensstil der Privilegierten die einzigartige Aura nahm. Das Automobil dagegen war eine Rarität, das den stolzen Besitzer frei machte vom Zwang der Gleise. Otto Bierbaum, der erste literarische Vorkämpfer des Automobils, beschrieb diese Erfahrung so: „Der Sinn des Automobils ist Freiheit, Besonnenheit, Selbstzucht, Behagen. In ihm lebt die Reisekutsche mit all ihrer Fülle von Poesie wieder auf, nur unendlich bereichert um köstliche Möglichkeiten des intensiveren und gleichzeitig erweiterten Genusses.“

 

Die verlorene Vertrautheit der Dinge

Die Formgebung der Motorwagen war Nebensache. Die Konstrukteure hatten den Aufbau ihrer Gefährte, wie damals in vielen Bereichen noch selbstverständlich, der Vergangenheit entlehnt. Denn das Design als eigenständige Disziplin steckte noch ebenso in den Kinderschuhen wie die neuen „Benzinkutschen“. Aber Schritt für Schritt entstand eine Formensprache, die ganz sachlich war, sich an der Funktion der neuen Gegenstände und Maschinen orientierte.

 

In der vorindustriellen Zeit waren die Gegenstände in ihrer Funktion und Gestalt ein Reflex der gesellschaftlichen Ordnung. Die Handwerker nahmen religiöse Vorstellungen auf, spielten mit jahrhundertealten Symbolen, griffen zurück auf die bekannten Mythen und Träume. Ihre gestalterischen Ideen standen in Einklang mit den Erfahrungen und Bedürfnissen der jeweiligen gesellschaftlichen Schicht, für die sie Gegenstände herstellten. Sie mussten und wollten keine neuen Symbole schaffen oder definieren. Im Gegenteil: sie arbeiteten mit den Formen und Bildern, die dem Bewusstsein der Nutzer entsprachen. Gerade weil sie die Form aus dem Alltagsleben schöpften, wirkt sie heute so harmonisch und selbstverständlich.

 

Die Mechanisierung veränderte die Haltung der Menschen zu den Dingen. Denn was früher in ihrer Umgebung hergestellt wurde, produzierten jetzt Manufakturen. Was ehemals auf einfachen technischen Prinzipien gründete, wurde mit Hilfe neuer maschineller Verfahren hergestellt. Was früher die menschliche Arbeitskraft steigerte, ersetzte sie jetzt. Das Vordringen neuer Werkzeuge und Maschinen löste die alte Vertrautheit der Menschen mit den Dingen auf. Das ist die Geburtstunde des Designs. Wo die Gegenstände mächtig werden, gewinnt auch die Form eine neue Bedeutung.

 

Die Zeit der „Automobilisierung“ begann langsam, im Takt von Maschinen mit einer Leistung von einer Pferdestärke. Daimler und Benz orientierten sich im Aufbau an den Droschken. Ihre Gefährte waren weitgehend handgefertigt, Motor und Chassis wurden unabhängig von den Karosserien in jeweils eigenen Werkstätten gebaut. Aber die Konstrukteure griffen auf eine Vielzahl von Erfindungen zurück, die sie als Bauteile in ihre Fahrzeuge integrierten: Differentiale, Kugellager sowie die aus dem Kutschenbau bekannten gefederten Sitzbänke, Blattfedern, Band- und Klotzbremsen. Diese neuen Elemente kombinierten sie mit Elementen der „alten Zeit“, so z. B. Holzspeichenrädern. Das Design begann quasi als eine Integration neuer technischer Elemente in eine alte Form.

 

Anfang der 90er Jahre übernahmen französische Konstrukteure die Führung auf allen Gebieten des Automobilismus. Das von Napoleon angelegte landesweite Straßennetz, die vom Baron Hausmann durch Paris geschlagenen breiten Boulevards, die in der Metropole konzentrierte Oberschicht, die Etablierung der Autohersteller rund um Paris, die Aufnahme des Automobils als Thema der Presse, das alles begünstigte die Akzeptanz des Automobils in der französischen Bevölkerung. Enorm fördernd für das neue Gefährt war auch, nachdem der Engländer Starley das Niederrad erfunden hatte und sich Dunlops Reifen als brauchbar erwiesen, die Radsportbegeisterung in Frankreich. Der neue Volkssport ebnete der Motorisierung den Weg. Tausende von Cyclisten entwickelten ein Gefühl für schnelle und leicht handzuhabende Straßenfahrzeuge, die den Appetit auf eine individuelle Reise weckten. Schon 1891 nahm der Motorcyclist Louis Rigoulot in einem Peugeot am Radrennen Paris - Brest - Paris teil. Er konnte kaum mithalten, erregte aber größtes Aufsehen in der Presse. Drei Jahre später organisierte der Journalist Louis Giffard den ersten Automobil-Wettbewerb zwischen Paris und Rouen. 1895 endlich gewann das Straßenrennen Paris - Bordeaux - Paris weltweite Aufmerksamkeit. Am Ende der 1200 km langen Fahrt, an der zwölf Benzin-, sechs Dampf- und ein Elektrowagen (!) teilnahmen, belegten Panhard & Levassor und Peugeot mit in Lizenz gefertigten Daimlermotoren die ersten Plätze. Den ersten Rennen folgten weitere, die eine ungeheure Begeisterung auslösten.

 

Bald überwanden Automobilisten unglaubliche Entfernungen. 1907 staunte die Öffentlichkeit über das Langstreckenrennen Paris - Peking, im folgenden Jahr folgte erstmals ein Rennen um die Welt, an dem sich drei französische Teams und je eine Mannschaft aus Italien, Deutschland und den USA beteiligten. Gleich nach dem Start litten alle Konkurrenten unter den miserablen Straßenbedingungen in Amerika, unter zwei Fuß hohen Schneelagen und riesigen Sumpflöchern. Die Reise führte von New York über Chicago und San Francisco nach Seattle, von dort mit dem Schiff nach Wladiwostok und durch Sibirien über Moskau nach Petersburg, Berlin und Paris. Als erster traf der deutsche Protos in der französischen Hauptstadt ein, wurde aber disqualifiziert, weil der des Fahrens unkundige (!) Chef des deutschen Teams sein Auto vor Seattle auf eine Bahn verladen hatte. So gewann die amerikanische Mannschaft, während die Italiener noch über sieben Wochen weiterkämpften, bevor sie unter dem Eiffelturm ihren Züst 50 HP endgültig abstellten. Ohne Autorennen ist der Siegeszug des Automobils schwer vorstellbar; im Kult der Geschwindigkeit verdichtete sich das die Epoche bestimmende dynamische Lebens- und Weltgefühl.

 

Zu dieser Zeit hatten sich die Automobile im Design vom Vorbild der Kutschen zu lösen begonnen. Der Motor wanderte in die Front und wurde, um ihn vor Regen und Staub zu schützen, mit einem Blech verkleidet. Der Radstand wurde vergrößert, um mehr Fahrgästen Platz zu bieten und die Karosserie umschloss den Raum für die Passagiere bis in Hüfthöhe. „Eine lange Motorhaube brachte neben maschineller Kraft auch soziale Macht zum Ausdruck, und Limousinen mit geschlossenen Aufbauten, welche 1910 zunehmend auftauchten, erinnerten an Equipagen, wo die Diener im Regen sitzen, während die Herrschaften es bequem und behaglich haben.“

 

Die ersten Langstreckenrennen hatten die Überlegenheit der deutschen Motoren eindrucksvoll demonstriert. Dennoch war der Fahrzeugbau eine französische Domäne. Um gegen die scheinbar unschlagbaren französischen Modelle zu konkurrieren, regte Emil Jellinek, österreichisch-ungarischer Honorarkonsul in Nizza, Geschäftsmann, Rennsportenthusiast und Förderer der Firma Daimler in Südfrankreich an, einen Rennwagen zu bauen, der stärker, fahrsicherer und schneller sein sollte als die Wagen der Pariser Autobauer. Wilhelm Maybach, Chefkonstrukteur von Daimler, konstruierte daraufhin einen Rennwagen mit 35 PS, von dem Jellinek gleich 36 Wagen orderte. Es war ein Riesengeschäft und das neue Auto so außergewöhnlich, dass es den Fahrzeugbau für Jahrzehnte prägen sollte. Maybachs Gefährt war mit zahlreichen Neuerungen ausgestattet: einer Abreißzündung von Robert Bosch, einer Alulegierung für das Motorgehäuse, zwei Nockenwellen und einem neu entwickelten Bienenwabenkühler mit größerer Kühlfläche bei verringertem Wasservorrat. Die Triebwerksanordnung mit dem Frontmotor und dem Antrieb über die Hinterreifen, wurde zur Standardbauweise für über ein halbes Jahrhundert. Der Mann am Mittelmeer schlug vor, das neue Auto aus Marketinggründen Mercédès zu nennen. Der Name schrieb Geschichte. Und mit ihm wurde das Kapitel der Kutschenwagen für immer geschlossen.

 

Die Firma Gottlieb Daimlers, der 1900 gestorben war und jetzt von seinen Söhnen Paul und Adolf geleitet wurde, war die erfolgreichste deutsche Automobilfirma. Sie hatte Benz & Cie den Rang abgelaufen. Aber jetzt erkannte auch dort die Geschäftsleitung, wie wichtig für die Reputation ein Rennwagen war. 1909 brachten sie den berühmten Blitzen-Benz auf den Markt, der auf der Brookland Piste mit 205 km/h Weltrekord fuhr. Zwei Jahre später lief das Auto sogar 228 km/h. Die Umsätze des Unternehmens begannen zu steigen. Zur gleichen Zeit nahm ein Ingenieur mit der Firma Kontakt auf und arbeitete an einem neuen Motor der dann, während des Krieges, Benz rasant steigende Produktionszahlen garantierte: Rudolf Diesel, dessen robuster, sparsamer und langlebiger Motor schon im Frankreichfeldzug zum Einsatz kam.

 

Daimler und Benz waren nicht die einzigen Pioniere des deutschen Automobilbaus. Schon 1890 hatten die Gebrüder Opel eine Firma für Fahrräder gegründet und verlegten sich, nachdem die Umsätze stagnierten, auf die Entwicklung von Automobilen. Auch sie bauten, allerdings nicht sehr erfolgreich, Rennwagen und verlegten sich dann auf die Produktion von Autos für spezielle Kundenkreise. Berühmt wurde ihr Doktorwagen, der speziell für die Bedürfnisse von Landärzten ausgerichtet war. Das Unternehmen etablierte sich. Schon 1912 arbeiteten 3.300 Menschen für Opel und lieferten, weitgehend in Handarbeit gebaute, 10.326 Fahrzeuge aus.

 

Ein ehemaliger Betriebsleiter bei Benz war August Horch, der sich 1899 selbständig machte und dem 1906 der Durchbruch mit einem 6-Liter-Sechzylinder gelang. Es war ein Auto für die „gehobenen Stände“. Allein das motorisierte Chassis kostete 18.400 Mark, die Karosserie musste der Kunde gesondert anfertigen lassen (Zum Vergleich: Opels Doktorwagen kostete komplett 3.950 Mark). Der Gründer zog sich bald zurück und überließ seinem Sohn das Unternehmen. Der übersetzte den Imperativ „Horch“ ins Lateinische „Audi“ und wurde ein reicher Mann durch die bald einsetzenden Rüstungsaufträge.

 

Daimler, Benz, Opel und Audi waren die wichtigsten Autobauer zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie waren aber nicht die einzigen. 34 Autofirmen versuchten in Deutschland Kunden für ihre Gefährte zu gewinnen. Und an dieser Stelle traten die Designer auf den Plan - auch wenn sie damals noch Konstrukteure hießen. Sie entwarfen Signets, Markenembleme und Schriftzüge, die dem Wagen ein unverwechselbares Erkennungszeichen geben sollten. Schon von weitem, das war die Anforderung, musste ein Auto deutlich als das Produkt eines bestimmten Herstellers erkennbar sein.

 

Jetzt eroberte sich das Automobil in der deutschen Gesellschaft seinen Platz, nicht zuletzt durch die Protektion des Hofes. Von Kaiser Wilhelm II. wurde zwar kolportiert, er könne auf die modernen Stinkkarren verzichten und bevorzuge warme Pferde, dennoch standen in seinem Marstall laut Inventarliste schon 1909 immerhin 24 Personen- und zwei Lastwagen. Diese kaiserliche Gunstbezeugung hatte natürlich Signalwirkung. Eifrigster Protegé der Kraft-Fahrzeuge wurde sein Bruder, Prinz Heinrich, ein begeisterter Techniker, dem die Erfindung des Scheibenwischers zu verdanken ist.

 

Die Autos begannen aus dem Windschatten der königlichen Huld zu fahren und eroberten die Städte. 1907 rollten 601 Kraftdroschken allein durch Berlin, 1914 bereits 2.436. Im gleichen Zeitrum schrumpfte die Zahl der Pferdedroschken von 24.000 auf rund 3.000. Bis zum Kriegsausbruch entwickelte sich die Auto- und Zuliefererindustrie in Deutschland zu einem Wirtschaftsfaktor. Im Jahre 1913 produzierten deutsche Hersteller 17.200 Autos, der Bestand belief sich auf 61.000 Automobile. Das war wenig im Vergleich zum Nachbarland Frankreich, wo im Jahr 45.000 Autos gebaut wurden und 100.000 Gefährte die Straßen belebten. Aber immerhin exportierten deutsche Autobauer 7.862 PKW im Wert von 71 Mio. DM, ein Umsatz, zehnmal so hoch wie die der Fahrradfabrikanten. Das Automobil war für Staat und Fiskus interessant geworden.

 

Designer hießen zur damaligen Zeit Kunsthandwerker und das deutsche Kunstgewerbe hatte einen schlechten Ruf. 1851 noch hatte ein Beobachter auf der Londoner Weltausstellung moniert, die Produkte aus dem Gebiet des deutschen Zollvereines sei unwürdig, an die Stelle schöner Formen sei „die edle Einfachheit deutscher Jahrmarktsbuden, graues Packleinen und nacktes, kaum gehobeltes Tannenholz“ getreten. Er konstatiert, dass alles sei ohne Charakter. Auf der Weltausstellung 1867 war es nicht besser. Der Kritiker bemängelte, die „ganze deutsche Section, Preußen mit inbegriffen, (sei) die uninteressanteste und langweiligste Abtheilung“ gewesen. So geht es weiter und weiter. Die Wiener Weltausstellung sah das deutsche Kunstgewerbe in „arger Zerfahrenheit“, 1876 heißt es aus Philadelphia alles Deutsche sei „billig und schlecht“ und 1884 in Chicago findet Julius Lessing „Qualität nur bei ausländischen Herstellern“.

 

Erst um 1895 finden sich erste Lichtblicke im kunsthandwerklichen Dunkel, allerdings nicht bei industriellen Massenprodukten, sondern bei kunsthandwerklichen Einzelerzeugnissen. So fordert die Darmstädter Künstlerkolonie im Jahre 1899 die wohlhabenden Kreise auf, sich an ihre Pflicht zur Erneuerung zu erinnern und der Kolonie Aufträge zu erteilen. ... Die Künstler wollten als gleichberechtigte Schöpfer neben den Produzenten der Automobile stehen. Das war ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen konnte.

 

Dennoch: binnen weniger Jahre verlief die in Deutschland vom Einzelentwurf zum Entwurf auf Honorarbasis bis zum Auftrag für die Entwicklung einer Serie. So entwarf Karl Schmidt in Hellerau schon 1906 sogenannte „Typenmöbel“ und Joseph Maria Olbrich konzipierte Automobil-Karosserien für Opel. Aber es stellte sich schnell heraus, dass die Designer nicht, wie sie gehofft hatten, der Produktion ihren Stempel aufdrücken konnten. Stattdessen sahen sie sich als „Agenten der industriellen Rationalität“, der sie sich unterzuordnen hatten. Die neue Sachlichkeit war Ausdruck dieser Rangordnung. Sie hatte den ökonomischen Vorrang und außerdem eine Abbildfunktion für den technischen Prozess der Produktfertigung. Letztlich entwickelte sich ein Credo, das in seiner übergeordneten Logik noch heute Bestand hat: Durch seine künstlerischen Gestaltungen sollten die Produkte und die Werbung einen auf ästhetische Qualität gerichteten Stil erhalten und sich damit gegenüber den Konkurrenzprodukten unverwechselbar abheben.

 

Das neue Selbstbewusstsein der Kunsthandwerker findet seinen organisatorischen Ausdruck in der Gründung des Deutschen Werkbundes im Jahre 1907. Dieser Interessenverband, dem Künstler, aber auch Industrielle, mittelständische Unternehmer und sogar Publizisten und Politiker angehörten, wollte, wie es in der Satzung hieß „die Veredelung der gewerblichen Arbeit in Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme“ erreichen. Das war ein hochgestecktes Ziel, denn es ging um weit mehr um eine Standesvertretung der Kunsthandwerker. Vielmehr sah der Bund sein Ziel darin, „die Menschen dazu zu bringen, dass sie im Großbetrieb doch wieder Menschen sind und zwar Menschen, die an ihrer Arbeit ein eigenes Vergnügen haben und mit ihm in die Höhe kommen.“ Diese Haltung wurde von sozialdemokratischer Seite heftig angegriffen: Selbst wenn der Arbeiter „schöne Dinge“ anfertigt, ist der Herstellungsprozess maschinell und auf hohe Stückzahlen ausgerichtet. Der eigentliche Produzent ist niemals am Prozesses der Produktfindung beteiligt, er ist Ausführender, der für seinen Lohn die Arbeiten verrichtet, die von ihm verlangt werden. Auch die Industrie war nicht interessiert an den sozialreformerischen Ideen des Deutschen Werkbundes. Ihr ging es um gestalterische Ideen, die dem Produktionsprozess angepasst und möglichst kostenminimierend waren, letztlich die Kaufentscheidung des Kunden positiv beeinflussten. Fast alle Mitglieder der Vereinigung fügten sich schnell dieser industriellen Logik, wenn auch nicht immer zur eigenen Zufriedenheit. Denn aus dem individuell gestaltenden Künstler wurde jetzt ein Gebrauchshandwerker, der es verstehen musste, künstlerische Momente in den industriellen Ablauf zu integrieren. Er konnte sich nicht mehr als Schöpfer begreifen, sondern wurde Teil des Zahnrades der maschinellen Industrie.

 

Der Werkbund ebnete einem Industriedesign den Weg: „Die Verdienste des Werkbunds konzentrieren sich in der Gründungsphase vor allem auf den Rückhalt, den gebrauchsbewusste Entwerfer durch berufsständische Organisation und Anerkennung ihrer Leistungen erfahren. Sie konzentrieren sich in Folge auf die epochale Einsicht, dass Maschinenarbeit, Massenfabrikat und hohe Gebrauchswertqualität sich nicht ausschließen, sondern dass gerade das industrielle Produkt zum überzeugenden Ausdruck einer Formkultur der zweckgerichteten Schönheit gelangen kann.

 

Hätten die Mitglieder des Werkbundes die Gelegenheit gehabt, Amerika zu bereisen, so wäre ihnen vielleicht aufgegangen, was ihnen die Zukunft bringen würde. Einige Fabriken in den Vereinigten Staaten begannen schon im 19. Jahrhundert mit der Massenfabrikation technischer Geräte wie Uhren und Nähmaschinen. Das Auto war mit seinen rund 5.000 Einzelteilen aber war das komplizierteste Industrieprodukt. Und es konnte in Amerika, wo Arbeitskräfte knapp waren, nicht wie in Europa weitgehend in Handarbeit hergestellt werden. Der Mangel an Arbeitern zwang zur Mechanisierung der Arbeitsvorgänge. Am ärgsten betroffen war Henry Ford, dessen Modell „T“ nachgefragt war wie kein zweites Auto. Zwangsläufig dachte Ford intensiv über eine Produktion „am laufenden Band“ nach und damit über eine Standardisierung, Normung und Vereinfachung der einzelnen Teile. Als er das Problem 1913 gelöst hatte, reduzierte sich die Bauzeit eines Fahrgestelles von bisher 12,5 Stunden auf 2,6 Stunden. 1914, im ersten Kalenderjahr nach der Einführung des Fließbandes, stieg der Ausstoß von T-Modellen auf über 308.000 Stück. Das war die fünffache Jahresproduktion aller deutscher Autofirmen und bedeutete für Ford eine Steigerung der Produktion um 152 %.

 

Aber so unterschiedlich die Entwicklungen auch waren – hier Massenfertigung für den Mittelstand und Fließbandarbeit, dort Bau von Statussymbolen für die Oberschicht und weitgehende Handarbeit – bis zum 1. Weltkrieg setzte sich bei den Autobauern auf beiden Kontinenten die Standardbausweise mit dem vorne liegenden Motor, dem Hinterradantrieb und der starren Achse durch. Der hochgebaute Kutschenwagen der Jahrhundertwende war verschwunden. Er hatte sich in ein niedriges und gestrecktes Automobil verwandelt. Auch die Andrehkurbel war verschwunden und hatte dem elektrischen Anlasser Platz gemacht.

Dann begann der Krieg

 

 

 

 

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