Dieser Auszug stammt aus der Firmenchronik „99 Jahre Jacobs Kaffee“, die ich für das Bremer Traditionsunternehmen geschrieben habe
JACOBS KAFFEE
Geschichte ungekrönt
Der Kaffee, das „schwartz wasser des Orients“, erreichte Europa Mitte des 17. Jahrhunderts. Er galt bei den Eliten schnell als modern. Denn das höfische, aufgeklärte Europa war ungeheuer fasziniert vom Orient. Reisebeschreibungen fanden in den Salons viele Zuhörer. Seefahrer wurden auf Festen und Banketten um Informationen und Geschichten bestürmt. Neue Luxusgegenstände wie Teppiche und Sofas fanden Abnahme bei Besitzern von Landhäusern und Stadtpalais.
Neben dieser Begeisterung für fremde Welten jenseits der bisherigen Horizonte gab es einen weiteren Grund für das wachsende Interesse am Kaffee: Denn nie wieder wurde in Europa so viel Alkohol getrunken wie zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert. Vor allem Bier betäubte den Kontinent. Es war neben der Kartoffel das Hauptnahrungsmittel der breiten Bevölkerung. Eine englische Familie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verbrauchte pro Kopf drei Liter Bier täglich – Kinder mit eingerechnet. Der Kaffee-Chronist Heinrich Eduard Jacob schrieb: „Der Tag des Bürgers begann mit Bier und er endete mit Bier. Den Frühtrunk bildete Suppenbier, dann gab es zugleich mit anderen Speisen des Mittags eine Biersuppe und warmes Eierbier. Rosinenbier und Zuckerbier, Fische und Würste in Bier gekocht, Bier in allen erdenklichen Formen, ungeachtet des kühlen Trunkes, der bei Besuchen, Beratungen, Marktgängen, Taufen und Trauergelagen allerorts geboten wurde.“ Ein anderer Chronist zog das Resümee dieser trunkenen Zeit und wies dem Kaffee im Gegensatz zum Alkohol mehr als nur eine ernüchternde Wirkung zu: „Kaffee und Wein! Das ist Wachen und Schlaf! Denn das Endergebnis des Weines ist Schlaf wie das Endergebnis des Kaffees ein gesteigertes Wachsein ist.“ Das neue Getränk wurde zum „großen Ernüchterer“, der die „in alkoholischer Benebelung dahindämmernde Menschheit mit Hilfe des Kaffees zu bürgerlicher Vernunft und Geschäftigkeit erweckt.
Ursprünglich stammt der „große Ernüchterer“ aus Afrika. Noch heute wächst er wild im Hochland Äthiopiens, nicht weit entfernt von Addis Abeba in der Provinz Kaffa. Von hier aus kam die Kaffeepflanze zunächst in den Yemen, wo der Strauch prächtig gedieh. Von Aden aus wanderte der Kaffeestrauch im 16. Jahrhundert weiter. Als erstes erreichte er Mekka, wo der „Wein des Islam“ bald in über 2 000 Kaffeestuben angeboten wurde. Pilger begeisterten sich für das anregende Getränk und brachten es nach Kairo, der letzten Bastion des Kalifats. 1530 gab es das erste Kaffeehaus in Damaskus,1554 in Istanbul, wie die Türken das mittelalterliche Konstantinopel nach der Eroberung nannten. Hier lernten Europäer das „schwartz wasser“ kennen und verbreiteten seine Kunde nach Europa. Venedig entwickelte sich zum ersten europäischen Handelsplatz für Kaffee. 1624 traf hier die erste große Kaffeeladung ein, und ab Mitte des 17. Jahrhunderts kann von einem Handel mit Kaffeebohnen gesprochen werden. Zu dieser Zeit arbeiteten holländische Gartenbauspezialisten bereits daran, den arabischen Produzenten und Händlern ihr Monopol am Kaffee streitig zu machen. 1699 gelang es einem Holländer, Pflanzen von der indischen Malabarküste nach Java zu verschiffen und erfolgreich anzubauen. Ganz in der Nähe der malariaverseuchten Hauptstadt Batavia entstanden die ersten Plantagen der Oostindischen Compagney. Sie erkannte als erste den wirtschaftlichen Nutzen der neuen Pflanze und war gewillt, die nicht unerheblichen Devisen aus dem Geschäft statt in die muselmanischen Länder in die Kontore im Grachtengürtel Amsterdams fließen zu lassen. 1711 erreichte die erste große Ladung von fast 900 Pfund Kaffee, nach einer langen Reise an der Westküste Afrikas entlang, Amsterdam. 1715 gelang auch den Franzosen die Pflanzung von Kaffee. Sie verschifften Setzlinge nach Santo Domingo, dem heutigen Haiti. Von dort wanderte der Kaffee nach Brasilien, wo er seit 1727 angepflanzt wird. Die Kulturhistorikerin Ulla Heise schreibt: „Um 1800 waren die wesentlichen Anbaugebiete, die sich als ‚Kaffeegürtel’ zwischen den zwei Wendekreisen um den Erdball ziehen, von den Kolonialmächten erschlossen.“ Heute gibt es 90 kaffeeproduzierende Länder. Einige bauen fast ausschließlich für den Export an, andere decken allein den Eigenbedarf.
Kaffeehäuser entstanden in vielen europäischen Städten. 1645 eröffnete der erste Kaffeeausschank in Venedig, 1652 in London, 1672 in Paris. London wurde die erste große Kaffeestadt. Im Jahre 1700 soll es dort angeblich 3 000 Kaffeehäuser gegeben haben. In Frankreich hatte es das neue Getränk schwerer. Es musste sich gegen die heftige Kritik der Weinbauern durchsetzen, die es als Gift verunglimpften und in die Apotheken verbannt wissen wollten. In Deutschland gab es diese explosionsartige Zunahme der öffentlichen Kaffeehäuser nicht. Stattdessen drang der Kaffee langsam, aber stetig in das Alltagsleben ein. Der Kaffee eroberte Deutschland über die Häfen. Er wurde in Hamburg um 1680 ausgeschenkt, später in Nürnberg, Regensburg, Leipzig, Stuttgart, Augsburg und Berlin. Bremen kam 1673 als erste deutsche Stadt in den Genuss der braunen Bohnen, durch holländische Händler, die ihre Waren in die Hansestadt „expedierten“. Die erste Kaffeestube war im Gildehaus der Kaufleute untergebracht, dem Schütting, der gleichzeitig als Garküche, Bier- und Kaffeeausschank sowie als wahrscheinlich einziges Hotel der Stadt diente.
Gut hundert Jahre später wurden im Bremer Adressbuch von 1796 acht Kaffeeschänken erwähnt. 1816 waren bereits 55 Kaffee- und Weinschenken verzeichnet, deren Besitzer im Haupt- oder Nebenberuf als Kunstgärtner, Knochenhauer, Schneider, Seeschiffer, Gewürzhändler und Knopfmacher arbeiteten. Alle diese Häuser waren keine Cafés im heute üblichen Sinn. Es waren Gastwirtschaften und Schenken, in denen neben Kaffee Bier und Schnaps verkauft wurden. 1844 eröffnete das erste Kaffeehaus im heutigen Sinn, das „Stehely und Josty“ am Domshof. Der Erfolg war begrenzt. Die überwiegende Zahl der Männer zog weiterhin den Bier- und Weintisch vor.
Die Frauen „cafesierten“ am ehesten bei einem Stück Kuchen. Zeitungs-Kaffeehäuser wie in Wien konnten sich in Bremen nicht etablieren. Dazu war die Bohéme, die Gelehrten-, Literatur- und Künstlerszene, die in anderen Städten Kaffeehäuser zu ihrem Domizil erklärten, zu klein.
Ab 1850 trat der Kaffee entgültig seinen Siegenszug an. Langsam, aber stetig wandelte er sich vom Luxus- zum Volksgetränk. Der wohlhabende Bürger konsumierte ihn am Morgen und Nachmittag, den ärmeren Schichten diente er als Universalmahlzeit, meist gestreckt mit Surrogaten und von früh bis spät auf dem Herd köchelnd.
Die Eroberung der Arbeiterhaushalte durch den Kaffee war Teil der sozialen Umwälzungen des wilhelminischen Zeitalters. Eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze entstand. Erste Industriegüter wie eiserne Kochtöpfe und Nähmaschinen fanden Eingang in die Haushalte der einfachen Leute. Luxusgüter wie reiner Bohnenkaffee wurden in bescheidenem Maße Teil des Alltags der arbeitenden Menschen. Fast zwangsläufig sollten sich Kaufleute finden, die das schlummernde wirtschaftliche Potential für sich entdeckten. Johann Jacobs war einer von ihnen.