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„Geniesst die Blockade, die Freiheit wird fÜrchterlich“

Das Berliner Kulturleben zur Zeit der Luftbrücke

Der Musiker verlor seine Stimme und stand ratlos vor einem heruntergelassenen Schlagbaum. Der Dichter wollte inszenieren und erreichte das Ziel nur über einen weiten Umweg. Ein Ensemble wurde eingeflogen und zu Konzertbeginn in Kohlen aufgewogen. Die Dirigenten lehnten ab, weil sie künstlerische Arbeit und nicht Kulturkampf wollten. Viele Schauspieler saßen fest. Das war die Lage auf der Kulturinsel Berlin im Herbst 1948.

Peter Anders, Tenor an der Berliner Staatsoper, musste sein ausverkauftes Konzert in Bad Pyrmont nach dem fünften Lied abbrechen, weil er Stunden zuvor seine Stimme zu sehr geschunden hatte. Schuld war eine Ratte, die sich in der Nacht über ein Butterbrot hermachte, das der Musiker auf dem Fensterbrett des kargen und stickigen Hotelzimmers kühl lagerte. Peter Anders war wegen eines merkwürdigen Geräusches aus dem Schlaf hochgeschreckt. Er versuchte, die Richtung des Kratzens und Schabens zu lokalisieren, öffnete das Fenster, und schon fuhr ihn dick und schwarz und sehr mutig die Ratte an. Ein Schreckensschrei drang aus seiner Kehle. Die Ratte fauchte noch einmal und verschwand. Der Sänger schüttelte sich vor Ekel. Er wollte etwas sagen; seine Stimme schnarrte wie ein ungeöltes Türscharnier. Im Laufe des Tages ging es ihm besser, aber am Abend zeigte sich nach wenigen Minuten, dass er das Konzert doch nicht würde zu Ende bringen können. Der hinzugezogene Arzt bestand auf Schonung und mehrtägiger Ruhe für die angegriffenen Stimmbänder. Die Tournee durch die britische Zone musste abgesagt werden, und das Ehepaar Anders packte seine Koffer, um zu den Kindern Ursula, Peter-Christian und Sylvia nach Berlin zu fahren. In Helmstedt war die Reise zu Ende: Sowjetische Soldaten hatten die Schlagbäume heruntergelassen.

Der Dichter musste im Oktober 1948 über Prag nach Berlin reisen, weil er kein Visum für die amerikanische Zone erhielt. „Über den völlig verstummten ruinenstraßen dröhnen in der nacht die lastaeroplane der luftbrücke“, schrieb Bert Brecht kaum eine Woche nach seiner Ankunft - er war mit Helene Weigel in einem unzerbombten Flügel des Hotel Adlon untergebracht - in das Arbeitstagebuch und notierte weiter: „berlin, eine radierung Churchills nach einer idee hitlers, berlin, der Schutthaufen bei potsdam.“ Seine trübe Stimmung verscheuchte er durch die Arbeit an seiner Inszenierung der „Mutter Courage“. Sie sollte, mit Helene Weigel er Hauptrolle, ab Januar 1949 mit großem Erfolg im Deutschen Theater über die Bühne gehen. Der Kritiker Friedrich Luft notierte: „Des Beifalls kein Ende.“ Und Bert Brecht schmiedete weitere Pläne. Mit Wolfgang Langhoff plante er an Max Reinhardts altem Haus den Aufbau eines Studiotheaters. Er wollte erste Schauspieler aus der Emigration für Gastspiele gewinnen: Therese Giehse, Peter Lorre, Curt Bois. Gespielt werden sollte für Kinder, unter anderem ein Stück mit dem Titel „Der Stier Ferdinand“, dessen Inhalt Brecht mit „frieden, erreichbar durch Niedlichkeit“ umschrieb. Aber sein Theaterprojekt fand keine Zustimmung in der Politik, und Brecht schrieb, er fühle „den stinkenden Atem der Provinz.“ Zudem wuchsen sich die organisatorischen Misslichkeiten zu großen Problemen aus. So musste Brecht, um seine Mitarbeiterin Carola Neher zu erreichen, aus dem amerikanischen Sektor in Zürich anrufen, damit ihr von dort nach Salzburg depeschiert wurde.

Die Cambridge-Madrigal-Vereinigung wurde in die geschlossene Stadt eingeflogen. Das Ensemble „muss für kritische Beobachter den Vergleich mit dem entsprechenden Gewicht Mehl oder Steinkohlen aushalten können“, formulierte der stellvertretende Stadtkommandant Brigadier Benson mit einem abschätzenden Blick auf das bescheidene Gewicht eines Musikers. Der Spiegel notierte einen russischen Sieg nach Punkten: „Der Wechsel von den Russen zu den Briten war ein völkerpsychologischer Anschauungsunterricht. Dort rauschhafte Verbrüderung, hier steife Vornehmheit. Dort das Nebeneinander von ‚Eja juchem’ bis Schumanns ‚Träumerei’, hier sorgsam bewahrte Kulturpflege, auf feinstes historisches Urteil gestützt. Dort Breiten-, hier Spitzenwirkung“. Dieser Kulturkampf wurde an jeder Front geführt. Die Sowjets hatten es leichter, denn die von ihnen verpflichteten Künstler konnten ohne Schwierigkeiten einreisen. Als die 250 Rotarmisten des Alexandrow-Ensembles im August 1948 das Publikum auf dem Gendarmenmarkt begeisterten, das mit „Vollmilch-verwandtem Vanille-Eis“ in der Hand der Sommerhitze trotzte, lobte am Ende Professor Steinitz die Besucher mit überschwenglichen Worten: „Die sowjetischen Künstler haben durch ihr Kommen gezeigt, dass sie die gewissenlose Hetze des Westens nicht mit der Berliner Bevölkerung identifizieren. Der überwältigende Besuch zeigt, dass Liebe und Achtung vor der Sowjetunion in der Berliner Bevölkerung verwurzelt sind und immer stärker werden.“

Die Opern in Berlin-Charlottenburg und Unter den Linden lagen in Trümmern. Die Staatsoper zog um in den Admiralspalast an der Friedrichstraße, dem heutigen Metropol-Theater. Er war kaum geeignet für einen Repertoirebetrieb mit Oper und Ballett. Er hatte nur eine schmale Hinterbühne, sodass keine Dekorationen gelagert werden konnten. Die Bühne war kaum zwölf Meter tief, und im Orchestergraben herrschte bei großen Besetzungen drangvolle Enge. Der Intendant Ernst Legal suchte fieberhaft einen neuen Generalmusikdirektor, aber im Lauf der Jahre winkten alle ab: Otto Klemperer, Bruno Walter, Hans Knappertsbusch, Georg Solti. Sie wollten nicht in die besetzte Stadt - und vor allem nicht in den Osten. Die Währungsreform brachte weitere Schwierigkeiten mit sich: Alle Bürger Berlins verfügten jetzt über die Mark als Zahlungsmittel, leider waren es verschiedene Währungen mit unterschiedlicher Kaufkraft. Die West-Berliner Künstler, die im Admiralspalast arbeiteten, konnten mit ihrem Ostgehalt die Kosten ihrer Westwohnungen nicht abdecken. Das Ergebnis: Binnen kurzer Zeit lagen 67 Kündigungen aus den Reihen der Staatskapelle vor. Das einzige Gegenmittel: Ernst Legal gestattete Beurlaubungen zur „Westmarkeinnahme“ an der Städtischen Oper Charlottenburg.

Die Städtische Oper war im Theater des Westens untergebracht. Große Werke der Klassik standen auf dem Programm, mit „Cosi van Tutte“ und „Figaros Hochzeit“ sogar ein doppelter Mozart. Die Oper in der Kantstraße präsentierte ein erstaunlich modernes Programm: die „Flut“ von Boris Blacher, den „Totentanz“ von Arthur Honegger, Gottfried Einems „Dantons Tod“ und Werner Egks „Circe“. Über sie schrieb der Komponist: „Es werden wieder sehr viele Melodien da sein, so leid es mir tut.“ Die Anhänger der Moderne wurden enttäuscht. Trotz modernster Akkorde blieb das Stück tonal. Der Spiegel schrieb: „Es gab bedeutenden Beifall. Und einige Pfiffe. Sie kamen nicht weit.“ Was die Anziehungskraft der Oper erhöhte, war das Licht. „Stromsperren haben wir dort nie erlebt“, erinnerte sich der Korrepetitor Werner Schrön, „weil in unmittelbarer Nähe ein Krankenhaus gewesen ist, das wohl bevorzugt mit Strom versorgt wurde. Da wir nun das Glück hatten, am selben Netz zu hängen, konnte unsere Oper trotz der allgemeinen Stromknappheit Licht als dramaturgisches Mittel einsetzen.“ Es war eine Sünde, bei der generellen Stromknappheit derart Elektrizität zu verbrauchen. Das wurde Schrön vor allem in der „Circe“-Aufführung bewusst: „Die Oper hatte eine Spieldauer von zweieinhalb Stunden, und die Strommengen, die wir für die Riesenscheinwerfer, die Bühnenbeleuchtung usw. verbrauchten, würden ausreichen, um eine mittlere Stadt mit Strom zu versorgen. Ein Wahnsinn, wenn man überlegte, dass viele Berliner überhaupt keinen Strom hatten...“

Intendant zur Zeit der Luftbrücke war Heinz Tietjen. Selten ist ein Opernmann kontroverser beurteilt worden. Käthe Dorsch hatte schon 1946 gesagt, er habe „bei Göring immer sehr gut gelegen.“ Gustav Knuth erinnerte sich an Tietjens Rede vom 30. Januar 1933, als der damalige Intendant der Staatsoper sagte, er sei stolz, Hermann Görings „erster Adjutant“ zu sein. Die Zeitung „Der Morgen“ urteilte in Erinnerung an seine Karriere im NS-Staat am 5. August 1948: „... Es lässt sich nicht leugnen, dass Tietjens Pelz mit allen Wassern gewaschen wurde und doch niemals nass gewesen ist.“ 1998 schrieb Micaela von Marquard, Dramaturgin der Deutschen Staatsoper, dass Tietjen zu seinen Reden gezwungen worden sei, dass er viele Juden im Ensemble geschützt habe, dass er die Verbindung zu den Größen der Partei genutzt habe, um Männern wie dem alten Dirigenten Leo Blech das Leben zu retten. Der hatte eidesstattlich erklärt, er habe es allein Herrn Tietjen zu verdanken, „... im September '41 nicht in das Rigaer Ghetto abgeschoben worden zu sein.“ So kontrovers seine Person auch war, unbestritten stieg unter seiner Führung die künstlerische Qualität der Städtischen Oper. Schon im Februar 1949 konnte er seinem Freund Emil Pretorius berichten: „Ich bin plötzlich wieder große Mode geworden.“ Lange Jahre in gehobener Position im Kulturbetrieb der NS-Zeit - und das, obwohl er nie Parteimitglied war -, wurde er jetzt zum Hoffnungsträger der Westmächte. Der Magistrat forderte ihn auf, namhafte Persönlichkeiten des Kulturlebens für Berlin wiederzugewinnen. Während der Blockade wurde er wieder und wieder gedrängt, prominente Künstler für die Metropole zu gewinnen, um so den Überlebenswillen der Stadt zu demonstrieren. Heinz Tietjen verpflichtete Leo Blech, den noch unbekannten Dietrich Fischer-Dieskau und gewann für die Spielzeit 1949/50 den jungen Ferenc Fricsay als Generalmusikdirektor. Der internationale Durchbruch gelang Tietjen mit seiner „Fidelio“-lnszenierung kurz nach dem Ende der Luftbrückenzeit. Der Erfolg legte eine Spur von gleißendem Licht über die dunklen Jahre.

An der neuen Oper im Ostsektor, deren Leitung Walter Felsenstein vom russischen Oberst Sergej Iwanowitsch Tulpanow im Juni 1947 mit dem Ziel des Aufbaus des städtischen Operetten-Theaters unter dem Namen Komische Oper übergeben wurde, war der Intendant engagierter und visionärer Herr im Haus. Felsensteins Engagement war legendär, ebenso sein anhaltender Widerstand gegen die Einflussnahme der SED-Kulturfunktionäre auf das Profil der Komischen Oper. Von den fünf Produktionen des Jahres 1948/49 verantwortete er als Regisseur allein vier, darunter die „Carmen“, der „Zigeunerbaron“ und „Orpheus in der Unterwelt“.

Auch die Sprechtheater sprühten vor Vitalität. In der Luftbrücken-Spielzeit standen weit über hundert Premieren auf dem Programm. Das Deutsche Theater präsentierte neben anderen Stücken „Haben“ von Julius Hay, „Emilia Galotti“ von Lessing und „Der Geizige“ von Moliere. Die Volksbühne hatte am 1. März 1948 im Akkumulatorenwerk Oberschöneweide eröffnet und brachte in der Saison 1948/49 Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“ und „Lysistrata“ von Aristophanes heraus. Die Kammerspiele brachten Shakespeares „Maß für Maß“, das Maxim-Gorki-Theater hieß noch „Theater des Hauses der Kultur der Sowjetunion“ und inszenierte ausschließlich Stücke russischer Autoren. In West-Berlin waren auch das Theater am Kurfürstendamm, das Renaissance-Theater, das Schloßpark-Theater und die Vaganten Bühne geöffnet.

Viele junge Schauspieler erlebten die Luftbrückenzeit an den Theatern in Berlin: Klaus Kinski, Klaus Schwarzkopf, Klausjürgen Wussow. Aber auch die ältere Generation meldete sich zu Wort: 0.E. Hasse und Heidemarie Hatheyer, Viktor de Kowa und Käthe Haack. Zum Erfolgsstück der Zeit wurde Carl Zuckmayers „Des Teufels General“. In Berlin hatte es im Juni 1948, wenige Tage vor dem Beginn der Luftbrücke, im Schloßpark-Theater Premiere. Die Berliner liebten den Flieger, der nicht des Teufels war. 0. E. Hasse stand an 302 Abenden als General Harras auf der Bühne.

Vom Kulturkampf war kein Medium ausgenommen. Eine Literaturredakteurin des RIAS Berlin, Annemarie Auer, wurde im September 1948 aufgefordert, eine Sendung über John Steinbecks „Früchte des Zorns“ mit dem Hinweis zu beenden, solche Gesellschaftskritik sei nur im Westen möglich. Sie lehnte ab und wechselte zum Berliner Rundfunk. Das Programm des RIAS verschärfte während der Luftbrückenzeit seine östlichen Seitenhiebe, die der Berliner Rundfunk bissig zurückgab. Radio wurde zur Propagandawaffe mittels Unterhaltung („Make this whole propaganda effort totally plausible trough laughter and fun“), das Kultur- wurde zugunsten eines Unterhaltungsprogramms begrenzt, dessen Vorbild der amerikanische Rundfunk war - Werbung inklusive. Aber: „Da ein beträchtlicher Teil der Intelligenz auf der anderen Seite des politischen Grabens stand, war die Basis für eine anspruchsvolle antikommunistische Kultur schmal. Der Niveauverlust des RIAS machte antikommunistischen Intellektuellen das Dilemma, eine massenwirksame und zugleich künstlerisch und geistig hochstehende Propaganda aufzubauen, schmerzlich deutlich. Dass die Kollegen auf der anderen Seite sich demselben Dilemma gegenübersahen, war, wenn überhaupt, kein Trost.“

Als Komet am Kulturhimmel schillerten „Die Insulaner“. Ihr Kopf, Günter Neumann, hatte als Zeitungsmann eine spitze Feder bewiesen: „Ich hatte im Auftrage eines Berliner Senders eine kleine Funkrevue geschrieben, in der eine Parodie auf die Radio-Zensur vorkam. Die Revue gefiel dem Kontrolloffizier großartig, bis auf die besagte Parodie. „Die Szene mit der Zensur möchten wir nicht bringen“, sagte er, „weil wir nämlich gar keine Zensur haben“. Als der UN-Sicherheitsrat im Oktober 1948 wegen der Berlinkrise tagte, hieß es bei Günter Neumann prompt: „Nee es jibt keene Blockade, ich hab davon nie jehört! Meine Herren, nee det jeeht nich, det man weg'n Blockade hetzt! Die Blockade, die besteht nich, aber sie wird fortjesetzt!“ „Der Insulaner“ war als „Magazin für das Inselleben“ ein direkter Reflex auf die Blockade. Der Verkauf war im Ostsektor streng verboten, was die Verantwortlichen des RIAS auf die Idee brachte, Neumann für ein Funkkabarett zu verpflichten. Zu Weihnachten 1948 strahlte der Sender erstmals die Sendung gleichen Namens aus, die sich mit seinem Titelsong bald weit über die eingeschlossene Stadt hinaus bekannt machte und den Berlinern recht aus dem Herzen sprach: „Der Insulaner verliert die Ruhe nich, der Insulaner liebt keen Jetue nich / Der Insulaner hofft unbeirrt,/daß seine Insel bald wieder'n schönes Festland wird.“

Weniger ideologisch belastet schien die Straßenkunst. Aber das täuschte, denn sie war ein Versuch der Alliierten, den Deutschen die Spielregeln des normalen Lebens beizubringen. Boxen, Fechten, Rudern – alles was nur entfernt an Militär erinnerte, war verboten. Erlaubt waren dagegen Seifenkistenrennen, ausgetragen von Fünfjährigen, denen Trümmerberge als Startrampen dienten und ein Care-Paket als Siegprämie winkte. Auch das Kellnerderby, bei dem es galt, ein volles Glas zwei Kilometer im Laufschritt über den Kurfürstendamm zu transportieren, fand großen Anklang. Der Osten konterte mit Sensationen: Ein riesiger Andrang herrschte beim Auftritt der Akrobatentruppe Marelli-Cimarro, die im Sommer 1948 zwischen den zerstörten Domkuppeln auf dem Gendarmenmarkt ihr Seil spannte.

Auch der Film war auferstanden in Ruinen. Einmütig lobten die Westsektoren-Blätter den Defa-Film „Affäre Jakob Blum“. R. A. Stemmle schrieb das Drehbuch, Erich Engel führte Regie. Der erste Film, der sich nicht mit Nachkriegsproblemen beschäftigte, kam im April 1949 in die Theater. An Berlins repräsentativsten Ruinen hatten Plakate wochenlang die Welturaufführung von „Tragödie der Leidenschaft“ angekündigt. Im selben Haus lief der Film „Berliner Ballade“ mit dem schlanken Gert Probe in der Hauptrolle als Otto Normalverbraucher: „Am Silvesterabend stand ich am Kurfürstendamm vorm Marmorhaus. 15 Meter hoch und aus Pappe.“ Produzent des Films war Heinz Rühmann. Aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen dieser Film während der Blockade entstand, wäre ein eigenes Drehbuch wert gewesen. Es gab fast nie Strom. Es gab kein Geld. Alle waren hungrig. Und jeder spürte eine vage Angst. Einer der Schauspieler sollte den russischen Politiker Wjatscheslaw Molotow spielen, worauf in der Crew Entsetzen ausbrach: Was, wenn die Russen einmarschierten und einen Film sahen, der ihren Außenminister verulkte? Als die „Berliner Ballade“ herauskam, wollten ihn die Kinobesitzer in Westdeutschland nicht zeigen, weil viele die Frontstadt schon abgeschrieben hatten: „Niemand interessiert sich für Berlin“, sagten sie, und das ging so weit, dass die Produktionsfirma überlegte, den Film unter dem Titel „Rummelplatz des Lebens“ laufen zu lassen, nur um nicht mit dem negativen Reizwort Berlin werben zu müssen. Die „Berliner Ballade“ machte sich einen Spaß mit dem Ernst. Sie zeigte einen Heimkehrer zwischen Menschen, die zu leben versuchten, obwohl sie nichts besaßen, wovon sie leben konnten, und nicht wussten, wofür es sich zu leben lohnt. Die Welt war aus den Fugen. Der Insulaner Günter Neumann, der das Drehbuch geschrieben hatte, nahm diese Apokalypse nicht tragisch. Aber sein Humor fand wenig Verständnis beim Publikum.

Auch ein Filmskandal fiel in den Winter 1948/49. Er rankte sich um die englische Produktion „Oliver Twist“, die in der Charlottenburger „Kurbel“ gezeigt wurde. „Der Film enthält antisemitische Tendenzen“, protestierte die jüdische Gemeinde. Oberbürgermeister Ernst Reuter schloss sich dem Protest an. Die britische Militärregierung erklärte sich für nicht zuständig. Der englische Verleih bestand auf Vorführung des Films, der dem König so gut gefallen habe, dass er ihn zur besten Produktion des Jahres erklärt hatte. Die Amerikaner sahen das anders. Auch sie verboten die Aufführung. Der Disput entzündete sich an dem Dieb Fagin, der Kinder in seiner Kunst unterrichtete und den Charles Dickens als „garstig aussehenden, abstoßenden alten Juden“ charakterisiert hatte. 50 Berliner Polizisten wachten vor der „Kurbel“ und sahen sich wütenden Demonstranten gegenüber. Es kam zu einem Handgemenge. „Erschießt uns doch“, riefen aufgeregte Demonstranten. „Zeigt lieber Auschwitz!“ Ein amerikanisches Auto ging in Flammen auf. Ein britischer Besatzungsoffizier wurde angegriffen. Ein Polizist lag kampfunfähig auf dem Boden. Der Film wurde abgesetzt. Die „Kurbel“ nahm leicht demoliert ihr neues Programm auf.

Dann war die Blockade aufgehoben. „Am Abend des 11. Mai 1949 – die letzten Stunden der Blockade – das war wie bei einer großen Premiere. Jeder, der etwas war oder sein wollte, fuhr hinaus zur amerikanisch-britischen Kontrolle der Autobahn, gewissermaßen der Grenzstation des blockierten Berlin. Man sah - mein Gott, wen sah man nicht alles? Schauspielerinnen, Schönheitsköniginnen, Boxer, Sechstagefahrer, bekannte Schriftsteller, Wissenschaftler... Jeder wollte dabei sein. Es war ein wenig so, wie es am 14. Juli auf den Pariser Straßen ist. Jawohl, es wurde auf der Autobahn getanzt. Jedermann sprach von General Clay, und jedermann fand lobende Worte. In dieser Nacht war der Westen von Berlin nicht mehr so dunkel wie die letzten dreihundert Nächte, obwohl viele noch nicht wussten, dass es wieder elektrischen Strom gab. Am ersten blockadefreien Tag machten die Zeitungen ihr größtes Geschäft. Man riss sie den Händlern aus den Händen. Man wollte alles lesen und immer wieder lesen und blieb doch stumm... Berlin schien die glücklichste Stadt der Welt. Es war alles wie im Märchen“. Aber die Euphorie hielt nicht lange an. Genauer gesagt: Sie verflog noch in derselben Nacht. Gerüchte von Lastwagen, die doch nicht durchkamen, flammten auf. Es hieß, die Verabredungen der Alliierten seien das Papier nicht wert, auf dem sie eilig skizziert worden waren. Die Berliner blieben misstrauisch, sie hatten zu viele Enttäuschungen erlebt. Noch zwei drei Tage vor der Aufhebung der Blockade hatte ein Conferencier in einem Kabarett gesagt: „Genießt die Blockade, die Freiheit wird fürchterlich!“ Jetzt stimmten ihm viele Berliner zu: „Solange wir blockiert waren, wussten wir, woran wir waren. Was wissen wir jetzt?“

 

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Dieser Bericht über die Auswirkungen des Mauerbaus auf das Berliner Kulturleben stammt aus dem Sammelband „Auftrag: Luftbrücke“, erschienen im Berliner Nikolai-Verlag.