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Artikel

„Ich finde meine Inspiration in mir selbst“

Der Jazzmusiker Thelonious Monk

Er lebte dreißig Jahre in derselben viel zu kleinen Wohnung. Er mochte keine Veränderungen in seiner kleinen Welt, nicht einmal einen abmontierten Postkasten an der Ecke der Straße. Er sprach wenig, weil er glaubte, dass jedem Menschen in seinem Leben nur eine bestimmte Zahl von Worten zur Verfügung stehen. Er lief gerne durch die Straßen von New York, manchmal die ganze Nacht, den Tag und noch eine Nacht hindurch. Er trug völlig unmodische Sportsakkos und immer einen Hut, hin und wieder sogar im Bett. Im Club konnte er nur spielen, wenn seine Frau Nellie zuhörte und sei es nur am Telefon. Und fast alle Künstler verehrten ihn: Thelonious Monk, den verrückten Mönch, den Affen, den Pianospieler.

Sein Klavierspiel war einzigartig. Selbst ein Laie hört ihn ohne Mühe unter hundert Pianisten heraus. Ein Grund war seine Technik. Er saß nicht wie jeder andere mit leicht nach unten gekrümmten Fingern vor seinem Instrument. Monk hielt die Finger sehr gerade und peitschte mit ihnen wie ein Trommler die Tastatur. Oder er spreizte seine Finger linkisch über die Tasten und quetschte die Töne aus dem Klavier wie ein Weinbauer Saft aus den Trauben. Manchmal schlug er alle zwölf Töne einer Oktave gleichzeitig an, wobei seine Daumen jeweils zwei Tasten griffen. Charakteristisch war seine ausgeprägte Vorliebe für die blue notes, die schrägen Töne eben, die verminderte Sekunde und die übermäßige Quarte, durch die seine Kompositionen immer total falsch klingen und doch irgendwie richtig. Letztlich aber war es sein spezifischer Sound, die Summe von Komposition, technischem Können, Intensität des Spiels, die ihn so unverwechselbar machte. Monk w a r die Musik, die er spielte und seine Konzentration, Ernsthaftigkeit und Wucht überträgt sich auf den Zuhörer. Seine Frau Nellie: „Er denkt die ganz Zeit an Musik, wenn er nicht gerade spricht. Er ist in der Lage in einem Zimmer voller Leute einfach still herumzusitzen und zu komponieren. Ich kenne niemanden, der sich innerlich so entziehen kann.“

Technisch gesehen war er kein guter Pianist. Aber er beklagte sich nicht, weil seine Fähigkeiten für die eigene Musik völlig ausreichten – mehr noch, geradezu perfekt waren. Die oft gestellte Frage, ob er nicht besser spielen konnte oder wollte, ist irrelevant: seine Art zu schreiben und seine Art zu spielen waren Zwillingsbrüder, die nicht ohne einander leben wollten. Sein Instrument entdeckte er immer wieder neu. Er näherte sich dem Klavier, als habe er noch nie eines gesehen, seine Finger stocherten auf den Tasten herum, schlugen nach ihnen, die Fingerspitzen zeigten manchmal sogar nach oben, prügelten auf den Flügel ein. So ging alles schief, klang alles schief, war alles schief.

Kaum jemand war so sehr eine eigene Welt wie Monk. „Wenn er komponierte, war es ihm egal, was für ein Tohuwabohu um ihn herum herrschte. Er war in der Lage an einem wirklich heiklen Stück zu arbeiten, während die Kinder zwischen den Flügelbeinen herumkrochen, im Radio laute Country-Music lief und Nellie kochte.“ Es interessierte ihn nicht, ob irgendjemand seine Musik mochte. Er spielte sie einfach, im Studio, im Club, im Konzert und einmal auch, als er wegen vermeintlichem Drogenkonsum die Konzession verlor, sechs Jahre allein in seiner Wohnung. Er interessierte sich auch nicht für die Musik seiner Kollegen. In einem der seltenen Interviews sagte er: „Ich habe gar keine Gelegenheit dazu, mir Gedanken darüber zu machen, was ich von anderen (Musikern) halten soll; ich bin zu sehr damit beschäftigt, selber Dinge auf die Reihe zu bringen.“ Auch die Welt um ihn herum interessierte ihn nicht. Er las keine Bücher und keine Zeitungen und auch die Politik ließ ihn kalt: „Meine Musik stellt keinen gesellschaftskritischen Kommentar zur Rassendiskriminierung, Armut oder dergleichen dar. Ich hätte genauso komponiert, wenn ich kein Schwarzer wäre.“ Nicht einmal für seine Hautfarbe interessierte er sich: „Als Kind wollten mich einige Jungs aus der Nachbarschaft dazu bringen, die Weißen für all das, was sie den Schwarzen angetan haben, zu hassen und eine Zeit lang habe ich das auch ganz fest versucht. Aber jedes Mal, wenn ich dann so weit war, sie zu hassen, tauchte ein Weißer auf, der meine Anstrengungen wieder kaputt machte“. Was ihn interessierte, war seine Familie – und wohl noch mehr seine Musik.

Was anderen Menschen als Egozentrik angelastet werden würde, als mangelndes Mitgefühl und Ich-Sucht, war bei Monk keine Entscheidung für eine Haltung, sondern integraler Teil seines Charakters. Monk war wie er war, seit er zum ersten Mal eine Bühne betrat. Er war eigenwillig, verschlossen, wortkarg, in sich gekehrt und willensstark: „Er hat sich fast immer in ein unnatürliches Schweigen gehüllt, ist scheinbar nicht anpassungsfähig und völlig gleichgültig gegenüber der Welt... und hat gleichmütig die schweren Nachteile ertragen, die ihm sein Ruf eines überspannten Menschen und Musikers eingebracht hat, ohne einen Millimeter von seiner Haltung abzurücken.“ Auch als er langsam bekannt, später berühmt wurde und ihm „Time“ eine Titelstory einräumte, änderte er seine Haltung nicht. Er wohnte weiter in seiner bescheidenen Wohnung und machte allein Konzessionen bei der Wahl der Hotels, weil er gute Unterkünfte auf Reisen zu schätzen lernte.

Nicht allen Menschen gefiel seine störrische Originalität und „infantile Egozentrik“ (Polillo). Denn Monk tat immer, was er wollte. Er hatte ein Bedürfnis, also gab er ihm nach. Das galt für seine langen Streifzüge durch die Stadt, die manchmal zwei Tage dauerten. Das galt auch für seine Schlafgewohnheiten – Monk legte sich ins Bett, wann immer er müde war, um zehn Uhr in der Früh, gleich nach dem Abendessen oder auch mehrere Tage gar nicht. Nicht wenige deuteten seine Skurrilität als milde Form von Wahnsinn – worin sie sich später bestätigt fühlen konnten. Wie auch immer: Im Kreis der an schrägen Persönlichkeiten wahrlich nicht armen Jazzer hieß er „Mad Monk“ – der verrückte Mönch, der durchgeknallte Affe, je nach Lesart.

Während seiner Konzerte stand er oft auf und tanzte wie ein Bär, ein Zwei-Meter-Mann, der dem Beat nachfühlte. Mit Anweisungen hielt er sich zurück und auf Fragen antwortete er unwirsch: „Welche Töne soll ich treffen? – Triff irgendwelche“ sagte er oder „Ist das ein C oder ein Cis ? – Eins von beid’n.“ Auch seine Noten gab er nicht gerne aus der Hand. Er trug sie in seinen Mantel herum, den er liebte, weil der Winter seine Zeit war, und schwieg. Was sollte er auch sagen: Die Musik war schließlich in den Instrumenten, man musste sie doch nur herausholen. Am Anfang seiner Karriere spielte er noch Stücke von Kollegen und auch seine Plattenfirma hatte ihn gedrängt, über Kompositionen von Duke Ellington zu improvisieren. Aber das waren lustlose Experimente. Erst als Monk „seins“ spielte, zusammen mit John Coltrane, Sonny Rollins und Johnny Griffin, lebte er auf: „Es war denkwürdig“, schreibt Polillo, „es war, als ob jemand eine Sprengstoffladung gezündet habe.“ Der Schweiger hatte seine Form des Gespräches gefunden.

Natürlich war er hilflos ohne seine Frau Nellie. Sie legte ihm seine Kleider zurecht, stellte ihm das Essen auf den Tisch, checkte auf Flughäfen für ihn ein, redete mit Agenten, Veranstaltern und den Journalisten. Sie zog ihre Erfüllung daraus, „dass sie ihm ermöglichte, seine Musik zu erschaffen. Sie war ein so integraler Bestandteil seines schöpferischen Wohlbefindens, dass sie ebenso gut als Co-Autorin der meisten seiner Stücke hätte firmieren können.“ Geoff Dyer, aus dessen wundervollem Buch „But Beautiful“ dieses Zitat stammt, schreibt weiter: “Manchmal wollte Nellie am liebsten weinen, wenn sie ihn ansah, nicht weil er ihr leid tat, sondern weil sie wusste, dass er eines Tages sterben würde und es keinen zweiten wie ihn auf der Welt gab.“

Es gab eine zweite Frau, die ihn beschützte. Baronin Pannonica „Nica“ de Koenigswarter war eine Diplomatenfrau, die ihren Gatten in Mexiko verließ, um in die New Yorker Jazzszene einzutauchen. Sie bezog im Stanhope Hotel eine Luxussuite, die zum Treffpunkt der schwarzen Musiker des Bebop avancierte. Sie war selbstbewusst, reich, emanzipiert und half ihren Musikerfreunden durch Geld, Unterkunft und manchmal auch juristischen Beistand. Sie kannte alle Größen der Szene und geriet selbst in Schwierigkeiten, als Charlie Parker 1955 in ihrer Suite starb. Es störte sie nicht. Sie konnte auch ohne die Anerkennung des New Yorker Geldadels leben. Nica und Monk wurden Freunde fürs Leben. Sie unterstützte ihn finanziell und sie verschaffte ihm seine neue cabaret card, die Auftrittserlaubnis für New York, die ihm über Jahre entzogen worden war. Als er ernsthaft erkrankte, zog Monk zu der Baroness in ihr Haus in Weehawken, New Jersey.

Nur einmal ordnete er sich dem Willen eines Menschen unter. Monk, 1917 geboren, war ein braver Junge, der Trompete lernen wollte. Aber seine Mutter setzte ihn an das Klavier, auf dem er sie dann begleitete, wenn sie in Baptistenkirchen sang. Als die Jazzszene 1940 auf Monk aufmerksam wurde, hatte er seinen Stil bereits gefunden – und schrieb ihn einfach fort bis zu seinem letzten Konzert. Er hatte den Kosmos abgesteckt, in dem seine Kreativität nach Tönen suchte – stilistische Brüche gab es im nächsten Vierteljahrhundert nicht mehr. Statt neue Wege zu suchen wie Coltrane oder Miles Davis, bohrte sich Monk immer tiefer in sein Material, hörte in den sechziger Jahre sogar auf zu komponieren und erkundete nur noch die eigenen Kompositionen, denen er immer neue Facetten abrang. Der Jazzer Michael Naura notierte: „Der unerfahrene Hörer dieser Musik wird sich wie ein Mann vorkommen, der in einem völlig dunklen Haus den Lichtschalter sucht. ... Anfangs wird er sich den Kopf stoßen. Aber dann, wenn alles in Helligkeit getaucht ist, wird er sich der Faszination, die von Monks Kompositionen ‚Evidence“, ‚Rythm-a-ning’, ‚Epistrophy’ ‚Well you needn’t“ und vor allem ‚Round Midnight“ ausgeht, nicht entziehen können.“

In den sechziger Jahren fing Monk an zu verstummen. Manchmal spielte er während eines Gigs zwei Nummern und saß dann eine halbe Stunde reglos vor seinem Flügel. Manchmal brach er mitten im Stück ab und überließ das Spiel seiner Combo. Niemand beschwerte sich, niemand pfiff den großen Monk aus, denn alle spürten einen Hauch von Tragik, eine Unschuld, die man nicht kritisieren durfte.

Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachten Nellie, er und die Kinder bei Nica in New Jersey. Er rührte den Flügel nicht mehr an, sah viel Fern, redete wenig, verließ oft tagelang das Bett nicht. Geoff Dyer: „Er verlor sich im Labyrinth seiner selbst und tapste darin herum, fand nie wieder heraus.“ Der Biograph mutmaßt, es sei ihm gut gegangen: „Es war nicht Verzweiflung, fast das Gegenteil: eine Form der Zufriedenheit, so extrem wie diese Benommenheit, die einen erfasst, wenn man einen ganzen Tag im Bett bleibt, nicht weil man es nicht erträgt, sich den Schrecken des neuen Tages zu stellen, sondern weil einem einfach nicht danach ist, weil es schön ist, nur so dazuliegen.“ Monk tat immer, was er wollte, und jetzt wollte er ausruhen.

Er lebte in dem Haus der Freundin bis zu seinem Tode. Im Winter 1982 erlitt er einen Gehirnschlag, an dem starb, ohne sein Bewusstsein wiedererlangt zu haben.


Die Zitate stammen aus Geoff Dyers großartigem Buch „But Beautiful“ (erschienen bei Fischer), der für Keith Jarrett einzig empfehlenswerten Arbeit über den Jazz, aus Arrigo Polillos Kompendium „Jazz“ mit zahlreichen Musikerbiografien (erschienen bei Schott) und Michael Nauras „Jazz Toccata“ (erschienen bei rororo), außerdem aus Artikeln, die in „Down Beat“ und dem „Time“ Magazine erschienen sind. Die Platten von Thelonious Monk sind fast alle als remastert und oft als preiswerte Re-Issues im Handel erhältlich.

 

 

Unveröffentlicht

Diesen Artikel habe ich zur falschen Zeit geschrieben. Er wurde nie veröffentlicht. Er gefällt mir trotzdem und deswegen steht er jetzt hier.