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 Artikel

RÜckzug in die Provinz

Das Theater des Prinzen Heinrich

Schloss Rheinsberg war ein Geschenk des knauserigen Vaters an seinen Sohn Friedrich, der sich nach Jahren des Widerstandes gegen die väterliche Autorität endlich als Regimentskommandeur in Neuruppin bewährt hatte. Nachdem der Kronprinz mit seiner jungen Frau 1736 auf das verwahrloste Schloss gezogen war, beauftragte er Wenzeslaus von Knobelsdorff mit der Verschönerung der Residenz und dem Bau eines U-förmigen Gebäudes mit Gesindewohnungen. Seine Krönung zum preußischen König und Verpflichtungen des umtriebigen Architekten verhinderten den Innenausbau des Bedienstetenhauses. So konnte Prinz Heinrich, nachdem ihm sein Bruder das Areal überlassen hatte, den Trakt zum Wohn- und Gästehaus, oder wie man damals sagte - Kavalierhaus - umbauen. 1758 errichtete sein Bauintendant Reisewitz außerdem ein „Theater in grünen Hecken und Wänden“ im Schlossgarten, 1763 ein kleines Theater im stadtseitigen Flügel des Baus.

Der Soldat und Feldherr Heinrich zog sich 1763 verbittert nach Rheinsberg zurück. Über seinen Bruder, dem er lange erfolgreich gedient hatte, schrieb er wenig Gutes. Friedrich sei „zu eitel, zu neidisch und zu boshaft, um sich nicht für die Verdienste zu rächen, die ich (ihm) erwiesen habe.“ Leider war Heinrich denkbar ungeeignet für das Landleben. Er verabscheute die Jagd, hatte keinerlei Ehrgeiz, sich als Land- oder Forstwirt auszuzeichnen und stand der Pferdeliebhaberei seiner Nachbarn fern. Kurz: er hatte nichts gemein mit den adeligen Gutsbesitzern im märkischen Land und schuf sich seine eigene kleine, verfeinerte Welt.

Die Natur diente ihm als Dekoration, das gesamte Anwesen war für ihn eine architektonische Umsetzung seiner ästhetischen Vorlieben und philosophischen Überzeugungen. Friedrich hatte erste Pflanzungen angeordnet, Heinrich verbrachte 50 Jahre mit der Gestaltung seines Parks. In solch einer langen Zeit wandelt sich der Geschmack des Besitzers, Elemente des Barock und des Rokokos wetteiferten mit französischer und englischer Auffassung vom Gartenbau, die wiederum auf die Sehnsucht nach antiken Proportionen stieß. So entstand eine Anlage, die Heinrichs Vorleser rühmt für „all die malerischen Plätze, in der die Kunst mit Hilfe ihrer glücklichen Gedanken alles nur mögliche geschaffen hat... Grotten, Ruinen, kunstvoll angelegte Wiesengründe, Eremitagen im ländlichen Geschmack, Kolonnaden, Felsen, Obelisken, Quellen und Fontainen...“ Für den modernen Geschmack ist der Garten wohl ein wenig überfrachtet, Christian Graf von Krockow charakterisiert ihn denn auch als „eine Vorform von Disneyland“. Seine Anziehungskraft aber ist ungebrochen. Busladungen von Besuchern flanieren an den Wochenende im Park, der durch die Rekonstruktion der Schlösserstiftung Berlin-Brandenburg jedes Jahr ein wenig mehr von seiner ursprünglichen Form zurückgewinnt.

Das für Heinrich vielleicht noch wichtigere Vorhaben war jedoch 1774 der Bau des Theaters direkt am See. Vier toskanische Säulen mit einem Giebeldreieck prägten die Vorderansicht des Hauses und gaben ihm eine klassizistische Anmutung. Es hatte damals wie heute drei Eingänge: einer führte zur Loge des Prinzen, ein hohes Portal in der Mitte diente als Durchlass für die Dekorationen und ein dritter für die Schauspieler und Zuschauer. Der Innenraum mit den hölzernen Säulen und Balustraden war mit blauen und weißen Blumengehängen, mit Gewinden und Muscheln reich bemalt. Weißliches Grau und Gold täuschten Marmor und Blattgold vor. Die Bühne hatte eine Spielfläche von 16 x 13 m. Sie nahm zwei Drittel des Theaters ein, der kleine Zuschauerraum fasste den gesamten Hofstaat von 100 Personen. Acht goldbemalte Holzsäulen trugen die beiden Ränge. Im ersten Rang lag die Loge des Prinzen; er schaute auf die Bühne, ohne von den Zuschauern gesehen zu werden. Holz, Leinwand, Malerei und Farben schufen die Illusion eines prächtigen Hauses. Der theaterbegeisterte Prinz füllte es mit Leben.

Graf Henckel von Donnersmarck berichtet in seinen Erinnerungen: „Seitdem er (Heinrich)... in Paris gewesen war, hatte er sich ganz französisiert.... des Morgens erledigte er seine Geschäfte und Korrespondenzen... Dann machte er Visite bei den Aktricen. ... Wenn die Schauspieler nicht mit dem gehörigen Anstände auftraten oder seiner Meinung nach nicht richtig gestikulierten, so mussten sie es so oft wiederholen, bis es richtig war. Natürlich war es ein französisches Theater, was er hielt. Er setzte das Repertoire, welches das ganze Jahr über gespielt werden sollte, selbst auf und verfehlte dabei nicht zu notieren: mir zur Überraschung wegen meines Geburtstages. ... War Komödie, so versammelte man sich um sechs Uhr, war keine, um halb sieben im Salon, wo Tee getrunken und etwas vorgelesen wurde... Während der Zwischenakte wurde Tee angeboten, und der Prinz ging die Aktricen zu bekomplementieren, wenn sie zu seiner Zufriedenheit gespielt hatten.“ Auch die Marquise von Sabran, die 1791 vor der welschen Revolution geflohen war, erinnerte sich gerne an die musikalischen Soireen von Prinz Heinrich: „Zweimal die Woche haben wir ein ausgezeichnetes Theater. Man gibt abwechselnd große Opern, die, was die Musik betrifft, ebenso gut aufgeführt werden wie in Paris... außerdem die besten Stücke wie im Theatre Francais und alle komischen Opern.“

Heinrich engagierte immer wieder ausgezeichnete Musiker in seine Residenz in der tiefsten brandenburgischen Provinz. Bis 1779 war Johann Peter Salomon Musikdirektor am Hof. Ihm folgte Johann Abraham Peter Schulz, dessen Vertonung des Matthias Claudius-Gedichtes „Der Mond ist aufgegangen“ zu den bekanntesten deutschen Volksliedern zählt. Gespielt wurden Stücke von Voltaire, Moliere und Beaumarchais, Opern wie beide „Iphigenie“ und „Alceste“ von Christoph Willibald Gluck, in Rheinsberg entstandene Kompositionen, Komödien, komische Opern und Operetten. Vorstellung war zweimal wöchentlich und häufig verlangte der Prinz zwei Stücke an einem Abend zu sehen.

Das Theater stand im Zeichen der zeitgenössischen Musik. Der Hausherr war dem Neuen aufgeschlossen und die Stimmung muss – zumindest im Theaterraum – von weniger Standesdünkel geprägt gewesen sein als es an Fürstenhöfen üblich war. Hier trafen Kunstbegeisterte zusammen, die auch aushalfen, wenn sie mit ihren Fähigkeiten im kleinen Ensemble von Nutzen sein konnten: Sowohl die Schwester Heinrichs, Prinzessin Amalie, als auch sein Adjudant, Major Christian Ludwig von Kaphengst sowie die Tochter eines Rheinsberger Kaufmanns, Fräulein Mundt, traten in verschiedenen Inszenierungen auf.

Mit dem Tod von Heinrich im Jahre 1802 geriet das Theater, aus Geldnot und vor allem wegen fehlender Begeisterung der neuen Besitzer, in Vergessenheit. Das erst 1781 angefügte Kulissenhaus wurde bereits 1855 abgetragen. Das Interieur zerfiel oder „verkrümelte“ sich (Theodor Fontane), Feuchtigkeit fraß an den hölzernen Säulen, an Verzierungen und Ornamenten, der Fußboden verfaulte, die Wände nässten, das Dach barst, der fast hundertfünfzigjährige Dornröschenschlaf verwandelte das Theater in einen Greis, der in den letzten Apriltagen des Jahres 1945 endgültig zu sterben schien, als eine verirrte Granate den Zuschauerraum traf. Das Kavalierhaus blieb zwar leidlich intakt, aber statt adliger Gäste beherbergte es jetzt Lehrlinge und diente dann vierzig Jahre als Unterkunft eines Diabetiker-Sanatoriums. Als 1991 die Musikakademie Rheinsberg in das marode Haus einzog, standen vom Theater nur noch die Außenmauern. Aber zäh eroberten Kunst und Musik das verlorene Terrain zurück. Zwischen 1995 und 1998 belebten zahlreiche Konzerte, Inszenierungen, Lesungen und Filmvorführungen die Ruine, Brüsseler Geld ermöglichte den Wiederaufbau des Gebäudes. 1999, nach fast zweihundert Jahren Leerstand, feierte das Schlosstheater Rheinsberg feierliche Wiedereröffnung. Seitdem wird es von der Musikakademie Rheinsberg als „Haus für junge Künstler“ betrieben und dient der Kammeroper Schloss Rheinsberg während der Sommermonate als Proberaum und Aufführungsort.

 

 

 Magazin

Dieser Artikel über das Theater in Rheinsberg erschien im Jahresmagazin der dortigen Musikakademie, für die ich einige Jahre als Pressesprecher arbeitete.