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 Artikel

Cornell Woolrich

„Einsamkeit passte wunderbar zu meiner Arbeit“

Woolrich war ein schwieriger und unzugänglicher Mann, voller Überdruss und Lebenshass. Er war ein Mann, der mehr als nur die Konventionen ignorierte, so eigenartig und düster, dass sein Lebenswandel mehr als einmal Anlass für heftige Spekulationen über seinen Geisteszustand gab.

Der junge Cornell wuchs bei seinem Vater in Mexiko auf, kam als Jugendlicher zurück in seine Heimatstadt New York und entschied sich, nachdem er zuerst Tänzer werden wollte, für den Journalismus. Bald stand er unter den Einfluss von Scott Fitzgerald und schrieb später in seiner unvollendeten Biographie: „Ich war ein echtes Kind der zwanziger Jahre, und ich trug sie mit mir durch mein ganzes späteres Leben. Ich ließ die Zwanziger vierzig Jahre lang dauern." Woolrich hatte nicht nur als Zeitungsmann schnell Erfolg. Bereits sein zweiter Roman brachte ihm einen Hollywood-Vertrag ein. Aber damit war sein Maß an Glück aufgebraucht. Seine düsteren Jahre begannen.

Er heiratete, was absurd war, denn Woolrich durchstreifte lieber auf der Suche nach Liebhabern die Nacht. Depressionen setzten ihm zu, er und seine Frau trennten sich und schließlich brach er völlig mit der Außenwelt. Er war nicht bereit, das Ende des Goldenen Zeitalters zu akzeptieren, andererseits zu klug, um die veränderte Realität nicht wahrzunehmen. Er reagierte wie üblich radikal und verbrachte die nächsten fünfundzwanzig Jahre in Pensionen und billigen Hotels. Das Haus verließ er nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Die Gefährtin in diesem Vierteljahrhundert war allein seine Mutter. Er schrieb: „Ich pflegte meine Einsamkeit. Ich genoss mein Selbstmitleid. Und, um ehrlich zu sein: Einsamkeit passte wunderbar zu meiner Arbeit. Sie stand mir gut zu Gesicht als ich noch jung war, und als ich nicht mehr ganz so jung war, schon weniger. Aber da hatte ich längst nicht mehr die Wahl. Meine Einsamkeit war Wirklichkeit geworden.“

Jetzt begann er Kriminalgeschichten zu schreiben. Es war die Zeit der Magazine wie dem legendären „Black Mask“. Woolrich schrieb Hunderte von Geschichten und zahlreiche Romane. Viele seiner Storys wurden verfilmt, dramatisiert und für das damals noch so populäre Radio bearbeitet. Aber er war kein guter Geschäftsmann und verkaufte seine Stoffe unter Wert. Für die Truffaut-Adoption seines Romans „Die Braut trug Schwarz“ bekam er nur 3.000 Dollar und „Das Fenster zum Hof“, von Hitchcock so virtuos verfilmt, brachte ihm nicht viel mehr ein. Nur seinem ungeheuren Fleiß hatte er es zu verdanken, das er trotzdem fast eine Million Dollar zusammenschrieb.

Woolrich saß in seinem billigen Zimmer und schrieb gegen die Dämonen an. Bis in die fünfziger Jahre fand er ein großes Publikum. Dann erkrankte seine Mutter und Woolrich kämpfte fortan erfolglos gegen Angst und Schreibschwierigkeiten. Als seine einzige Vertraute starb, trank er noch heftiger und plagte sich außerdem mit Diabetes herum. Nach einem Unfall ignorierte er die Wunde und als er endlich zum Arzt ging, war es zu spät: Sein brandiges Bein musste amputiert werden. Die letzten Jahre verdämmerte er im Rollstuhl. „Ich habe nur versucht, den Tod zu hintergehen,“ schrieb er in seiner Biographie, „habe nur versucht, nach meinem Ableben noch eine kleine Weile länger am Leben zu bleiben.“ Es ist bezeichnend für Woolrich, dass es ihm schon zu Lebzeiten scheinen musste, als sei dies nicht gelungen.

Seine Romane und Geschichten erzählen von Menschen, die wie er mit dem Gefühl leben, trotz aller Anstrengungen gescheitert zu sein, die schon vor dem Tod dem Nichts preisgegeben sind. Es sind Durchschnittsmenschen, einfache Bürger, die sich ein kleines Glück erträumen, keine hardguys wie bei Chandler und Hammett. Woolrichs Helden – wenn man sie überhaupt so nennen kann – sind keine Stehaufmännchen. Sie gehen unter. Und wenn sie einen kleinen Sieg landen, dann bleiben sie doch Bedrohte, oft über das Ende der Romane hinaus, haben nur „noch einmal Glück gehabt“. Sie bleiben Einsame und Entwurzelte, die in der Großstadt gestrandet sind und in den billigen Bars und Spielhallen, den Tanzlokalen und Wettbüros ihre Zeit verbringen, die nachts ihren Appartements, in denen ihnen die Erinnerungen an ein anderes Leben auf den Kopf fallen, entfliehen. Ganz normale Menschen, nur vielleicht noch scheuer und misstrauischer als andere. Heute sind uns solche Charaktere sattsam bekannt, aber als Woolrich schrieb, waren sie in den Magazinen, die auf den Massengeschmack hin konzipiert waren, neu. Der Autor verlieh den einfachen Leuten Gefühle, wie Fitzgerald sie seinen Intellektuellen zuschrieb - nur dass diese kokettierten, während Woolrichs Protagonisten um ihr Leben kämpften.

Allerdings bieten seine Geschichten mehr als Verwicklungen von bis dato unbescholtenen Menschen in kriminelles Geschehen. Sie sind Studien über Opfer der Ellenbogengesellschaft und beschreiben den Widerstand, die der vereinzelte Mensch den anonymen Mächten entgegensetzt, die ihn regieren. Sie sind Mystifikationen der Großstadt, die Woolrich als lebendiges Wesen darstellt, einen bösartigen Gott aus Stein, der sich in einen tausendköpfigen Golem verwandelt. Schlichter Realismus ist nicht Woolrichs Sache, manchmal wirken seine Geschichten arg konstruiert, manchmal gehen sie von sehr unwahrscheinlichen Begebenheiten aus. Die Symbolik ist dem Autor oft wichtiger als die Plausibiliät.

Entsprechend düster sind die Titeln seiner Bücher, die „Schatten der Nacht“, „Der schwarze Engel“ oder „Walzer in der Dunkelheit“ heißen. Schwarz ist die Farbe seines eigenen unglücklichen Lebens. In seiner Biographie schreibt er: „Ich habe nur für eine kleine Weile versucht, die Dunkelheit, die mich, das wusste ich mein ganzes Leben hindurch mit Bestimmtheit, eines Tages auslöschen würde, für eine kleine Weile zu überwinden.“

Sieben Romane von Cornell Woolrich und zwei Bände mit Erzählungen sind bei Diogenes erschienen.

 

 Zeitschrift

Auch dieser Artikel erschien in einem Stadtmagazin. Er ist Teil einer ganzen Reihe von Autorenportraits.